Wie Engel Aloisius nach Berlin kam

 

 

Text von Regula Heinzelmann

 

Nach einem Thema von Ludwig Thoma

 

1. März 2024

 

Die Kellnerin Kathi betrachtete den älteren Mann im wallenden weissen Gewand und Engelsflügeln, der in einer Ecke des Hofbräuhauses sass. Seit dem ersten Februar arbeitete Kathi jetzt da. Sie hatte lange einen Job gesucht und war froh, diesen gefunden zu haben. Dementsprechend gab sie sich Mühe. Aber dieser Gast irritierte sie. Er sass jeden Morgen wenn sie kam schon da, als hätte er hier die Nacht verbracht. Jeden Tag trank er mehrere Mass, ass morgens eine Weisswurst und abends Schweinebraten oder sonst etwas Deftiges. Immer trug er das Engelskostüm. Zuerst hatte sie ihn für eine Faschingsfigur gehalten, aber langsam zweifelte sie daran. Vielleicht war er auch geisteskrank oder Mitglied einer obskuren Sekte. Nie hatte sie gesehen, dass jemand bei ihm einkassierte. Er war wohl Stammgast mit Kredit und sie hatte sich nie getraut, ihm eine Rechnung zu präsentieren. Er sass einfach da, und man bediente ihn als wäre das schon seit langer Zeit so gewesen.

 

Heute hatte Kathi den Tisch des seltsamen Mannes zugeteilt erhalten. Deswegen stellte sie zusammen, was er im Februar konsumiert hatte, ging hin und sagte: „Darf ich dem Herrn die Rechnung für dieses Jahr präsentieren?“ – „I bi koa Herr. Aloisius ist mei Name, Engel Aloisius.“ – „Gut, Herr Engel, darf ich einkassieren. Für dieses Jahr macht das 695 Euro.“ – „Euro? Was soll dös sei?“ Kathi dachte, der Mann sei wohl wirklich ein Spinner und bemühte sich ruhig zu bleiben. „Euro. Wos is das?“ Sonderbar, dachte Kathi, der ist wohl wirklich verrückt. „Komische Frage“, meinte sie. „Geld.“ - „Mal schaugn, wo hab’ i denn mei Göld?“ Er wühlte in den Falten seines Engelsgewandes und zog statt einer Geldbörse einen zerknitterten Brief hervor. „Jo mei, der Brief“, sagte er erschrocken, „den mues i ja der bayrischen Regierung bringen in allerhöchstem Auftrag. Aber Göld hat man mir kaans mitgeben. Typisch!“ Kathi überlegte, ob sie gleich die Polizei rufen oder vorher noch die Geschäftsleitung informieren sollte.

 

Andere Gäste waren auf die Szene aufmerksam geworden und standen um den Tisch herum. „Der spielt seine Rolle gut“, meinte eine Dame. Ein fescher junger Bursche zwinkerte Kathi zu und meinte: „Wenn Sie Hilfe brauchen sollten, bin immer zur Stelle.“ Ein älterer Herr war herangetreten und betrachtete mit Kennerblicken den Brief: „Altes kostbares Briefpapier, handgeschöpft. Darf ich? Ich bin Antiquitätenhändler und immer an originellen Sachen interessiert.“ Er nahm den Brief. Kathi betrachtete ihn auch und meinte: „So a Gekritzel! Das kann ja kaaner lesen.“ – „Das ist Sütterlinschrift.“ – „Habe ich in der Schule noch gelernt“, sagte eine alte Dame. Sie las: „Die göttlichen Ratschläge an die bayrische Regierung.“ – „Die sollten’s besser glei nach Berlin bringen“, meinte eine andere Dame. „Die ham’s nötiger.“ – „Nach Berlin? Dem Kaiser?“ fragte Aloisius. „Da schickens sicher a Breiss hin.“ - „Kaiser? Der ist doch 1918 zurückgetreten. In welcher Zeit leben Sie denn?“ – Aloisius war nun etwas zornig geworden. „Wir ham jetzt 1911. Woher wollen’s wissen was 1918 passiert, Sie Grünschnabel Sie?“ – „Wir haben heute den 12. Februar 2024“, erklärte Kathi ruhig. „2024, zwotausendvierazwanzg, wos?“ fragte Aloisius irritiert. „Das Jahr 2024!“ – „Was – dann wär’i ja über hundert Johr hier gsessn. Was mach’ i jetzt nur? St. Petrus, wenn das erfährt, der schickt mi glei zum Deifi.“ Er seufzte laut. „Wie lang war dös denn? 1911 bin I herkumme, dann wären dös?“ – „113 Jahre“, sagte ein junger Mann, der das mit seinem Handy ausgerechnet hatte. „I hab gar nicht gmerkt was alles passiert is“, erklärte Aloisius. „Was kam denn nach dem Kaiser?“ – „Die Weimarer Republik. Und dann der Hitler“, erklärte der Antiquitätenhändler. „Hitler? War das nicht der, der hier manchmal so politische Reden gröhlt hat“, fragte Aloisius. „Und nachher ham alle brüllt Heil Hitler!“  - „Ja richtig, Sie erinnern sich ja gut. Hitler hat einen Krieg geführt.“ – „Krieg? Das war die Zeit wo immer so a Lärm war und Feuer. Und den Krieg ham mer g’wonnen?“ – „Verloren“, erklärte der Antiquitätenhändler. „Und nachher?“ – „Da bekamen wir eine Republik.“ – „Wer regiert die?“ – „Im Moment der sogenannte Bundeskanzler Scholz.“ – „Und der murkst herum. Der könnt’ wirklich göttliche Ratschläge brauchen, da haben’s recht gnä´ Frau“, meinte ein anderer Herr zu der Dame, die diesen Vorschlag zuerst gemacht hatte.

 

Zufällig war der Engel Gabriel inkognito anwesend. Er kam direkt vom Kreml, wo er versucht hatte, Putin dazu zu überreden, endlich Frieden zu schliessen in der Ukraine und seine Armee zurückzuziehen. Natürlich erfolglos. Gabriel war müde und verärgert. Um sich wenigstens am Rosenmontag eine Erholung zu gönnen hatte er in München Halt gemacht und war ins Hofbräuhaus gekommen um Weisswürste zu essen und ein gutes Glas Bier zu trinken. Natürlich hatte er gleich erkannt, dass es sich bei dem seltsamen Gast um einen Engel handelte.

 

Als er von dem Brief mit den göttlichen Ratschlägen hörte, trat er heran und fragte Aloisius nach Namen und Lebensdaten: „Alois Hingerl hob i gheissen auf Erden“, antwortete dieser, „geboren war i am 13. April 1857 in München, gsturbn am 24. August 1911, auch in München.“ Gabriel zückte sein Handy, verlangte St. Petrus zu sprechen und erklärte kurz, worum es ging. „Der hat zu tun“, meinte Engel Sekretärin, „und im Computer steht dieser Alois Hingerl sicher noch nicht. Und den Schlüssel zum Archiv hat St. Petrus immer bei sich. Ich rufe zurück.“

 

Schon nach einigen Minuten piepste Gabriels Handy Händels Halleluja. „Hallo, Du bist es selber Petrus. Das ist ja gut.“ – „Ich musste im Archiv nachsehen. Aber jetzt erinnere ich mich wieder. Engel Aloisius. Ein Münchner Original, der absolut nicht frohlocken wollte. Brüllte immer: Luja sog i! Und von der himmlischen Hausordnung hielt er gar nichts. Das ging natürlich nicht. Deswegen hat ihn der Herr mit seinen göttlichen Ratschlüssen nach München geschickt. Seither ist er vermisst.“ -  „Der sitzt seit 1911 ununterbrochen im Münchner Hofbräuhaus und konsumiert jeden Tag Bier und Weisswürste.“ -  „Also 113 Jahre. Das wird ja wieder eine Rechnung geben“, befürchtete St. Petrus. – „Allein dieses Jahr, zeigen Sie doch mal die Rechnung Frau Kathi“, wandte Gabriel sich an die Kellnerin. „Allein dieses Jahr schon 695 Euro. Und ähnlich wohl die ganzen hundertdreizehn Jahre, auf durchschnittlichen Geldwert berechnet…“ Gabriel tippte auf seinem Handy. „Moment das haben wir gleich, tja wenn wir nicht kleinlich sind macht das etwa eine halbe Million Euro. Ich will dafür sorgen, dass wir den Betrag erhalten. Der Heilige Florian wird gar nicht begeistert sein.“ Der war im Himmel Finanzchef geworden, wohl wegen der Redensart „Verschon mein Haus, zünd lieber andere an“. In bezug auf Finanzen heisst das: „Spar nicht bei uns, spar lieber woanders.“ Gabriel fragt Kathi nach der Kontonummer vom Hofbräuhaus und überwies die Summe. „Der Himmel hat noch immer seine Schulden bezahlt“, erklärte er dazu. „Sollte das nicht reichen, schicken Sie mir ein Mail: Erzengel.Gabriel@himmel.com. Aber dann bitte eine detaillierte Abrechnung.“

 

Dann schleppte Gabriel den Aloisius in den Himmel. Zitternd und bebend sank dieser vor St. Petrus auf die Knie. „I bitt’ schön um Verzeihung Herr Sankt Petrus. I hob gar net g’merkt wie die ganze Zeit verging. Sie sagten ja selber, wir leben als Engel zeitlos. Schicken’s mi net in die Hölle, i bitt’ schön.“ – „Dazu besteht kein Grund“, meinte St. Petrus. „Aber ungeschoren davonkommen sollst Du auch nicht. Eine halbe Million Euro verplempern, wo wir hier doch auch sparen müssen! Wir haben uns etwas Spezielles für dich ausgedacht.“ – „Der Herr ist gnädig“, meinte Engel Gabriel.

 

St. Petrus führte Aloisius zu einer Wolke. Darauf standen ein Labtop und ein grosser Bildschirm. „Was sind dös für Kistn? Soll I die irgendwohin trogn?“ fragte Aloisius. „Du bist hier in der Abteilung für Computertechnik“, erklärte St. Petrus und zeigte auf den Labtop. „Das ist ein Computer, eine Maschine die Informationen speichert und verarbeitet. Wir richten dir Konten ein auf TwitterX, Facebook, Instagram und TikTok.“ – „Konten?“ fragte Aloisius und guckte verwirrt. „San dös Banken? Muas I jetzt mei Rechnung für dös Hofbräuhaus bezahlen?“ – „Gewissermassen, du kannst sie abarbeiten“, meinte St. Petrus. „Das sind alles Netzwerke, mit denen man Nachrichten international verbreiten kann“, erklärte Petrus. „Du setzt dich jetzt auf eine Wolke über dem Kanzleramt in Berlin.“ - “ – „Nach Berlin soll i, nach Breissn!“ rief Aloisius entsetzt aus. „Dös ist a harte Straf.“ – „Tja, Strafe muss sein“, meinte Petrus. „Dort bekommst Du jeden Tag ein Mail, d.h. eine Nachricht mit göttlichen Ratschlägen. Wir wollen dich ja nicht überfordern, die gelten nur für die Regierungen in Deutschland, für die in den Ländern und ganz besonders für die Bundesregierung. Und diese verbreitest Du auf diesen Netzwerken. Auf dem grossen Bildschirm sieht man die ausserdem in ganz Berlin. Wir können nur hoffen, dass einige Politiker – schnauf – innen da mal hingucken.“ – „I hob doch ka Ahnung von diesem neumodischen Zeug“, meinte Aloisius hilflos. „A Maschin, i bin doch ka Ingscheniör.“ - „Stell dich nicht dümmer als du bist“, sagte Petrus streng. „Das begreift heute jeder. Nachher kommt ein Engel aus der IT-Abteilung vorbei und erklärt Dir wie es funktioniert.“ Nicht lange danach erschien eine schöne Frau in einem goldenen Gewand und in ihrer Begleitung ein Engel. Aloisius starrte sie verzückt an. Es war die Heilige Ursula, die im Himmel Chefin für Öffentlichkeitsarbeit geworden war. Im Mittelalter hatte sie in Köln die legendäre Demonstration mit 11000 Jungfrauen organisiert, das war damals ohne die modernen Kommunikationsmittel eine gewaltige Leistung.

 

„Liebe Ursula, das ist nett, dass Sie sich persönlich bemühen“, meinte Petrus. „Viel Zeit habe ich ja nicht“, antwortete Ursula, „in Köln wird Rosenmontag gefeiert, da muss ich immer ein Auge drauf haben. Aber ein Viertelstündchen geht schon, so ein Original will ich doch auch kennenlernen. Du bist also der Aloisius, der nun die göttlichen Ratschläge an die deutschen Regierungen verbreiten soll. Das ist schon lange fällig.“ Aloyisus machte vorerst eine tiefe Verbeugung. „Für eine schöne Dame wie Sie mach´i oils“, stotterte er. Die Versetzung nach Berlin kam ihm plötzlich nicht mehr so schlimm vor. „Prima“, meinte Ursula, „wir brauchen immer tüchtige Leute in unserer Abteilung. Mach et jut. Engel Johannes wird dir alles erklären, er war in seinem Leben fast 50 Jahre Computerspezialist und wenn Du Fragen hast, kannst Du ihm immer eine Nachricht schicken oder anrufen.“ Darauf drückte sie Aloisius ein Handy in die Hand und entschwebte. Engel Johannes begann mit seinem Unterricht. Motiviert durch den Besuch der Heiligen Ursula begriff Aloisius rasch, was er zu erledigen hatte. Er fand es jedenfalls spannender als Frohlocken und Halleluja singen. Dann flog er los nach Berlin und setzte sich auf eine hübsche Wolke über dem Kanzleramt.

 

So kommt es, dass Aloisius jeden Tag göttliche Ratschläge für die deutschen Regierungen verbreitet. Ob diese beachtet werden, ist allerdings fraglich, aber wir werden ja sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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